Nachruf zum deutschen Historiker und hoch verdienten Italienforscher Dr. Klaus Voigt (1938-2021)

Der 1938 geborene und an der Freien Universität Berlin promovierte Historiker Klaus Voigt publizierte 1989 den ersten Band seiner Monographie „Zuflucht auf Widerruf. Exil in Italien 1933-1945“. Hierin behandelte er insbesondere das Schicksal von ca. 18.000 deutschen Juden, die ausgerechnet im faschistischen Regime Benito Mussolinis Zuflucht fanden.

Der italienische Historiker Michele Sarfatti hatte mit den ein Jahr zuvor publizierten Aufsätzen „1938 le leggi contro gli ebrei“ und „Razzismo in Italia“ die wissenschaftskritische Auseinandersetzung mit der Judenverfolgung im eigenen Land mitinitiiert. Voigts Arbeit, die als Sozial- und Kulturgeschichte über die Frage jüdischer Flüchtlinge in Italien hinaus auch die antisemitische Gesetzgebung Mussolinis sowie Parallelen und Diskrepanzen mit den Nürnberger Rassegesetzen diskutierte, war somit nicht nur für deutsche Forschungsverhältnisse eine Pionierstudie.

Mit dem zweiten und gleichermaßen detailreichen wie sorgfältig recherchierten Band zum Schicksal jüdischer Flüchtlinge im faschistischen Italien avancierte Voigts Arbeit zum Standardwerk der Exil- und (vergleichenden) Faschismusforschung. Während Voigt die Rolle Italiens als Zufluchtsort für Juden stark machte, hob Sarfatti dessen autochthonen und vom Nationalsozialismus losgelösten Antisemitismus hevor. Voigt und Sarfatti verband eine lebenslange Freundschaft.

In Anlehnung an seine Monographie organisierte Voigt 1995 in Zusammenarbeit mit der Berliner Akademie der Künste die erst in Mailand (9.3.-30.4.) und dann in Berlin (29.8.-22.10.) gezeigte Ausstellung „Rifugio precario: Artisti e Intellettuali Tedeschi in Italia 1933-1945“. 

Sein zentrales Nachfolgeprojekt war jedoch die Aufarbeitung der Flucht von 150 jüdischen Kindern aus Berlin, Leipzig, Frankfurt a.M. und Wien, die in die „Villa Emma“ in Nonantola bei Modena (Emilia-Romagna) flohen, wo bis 1942/43 letztlich 73 Kinder aus Deutschland, Österreich und Jugoslawien Zuflucht fanden. Sein Engagement für die Stärkung der Erinnerungskultur in Nonantola bescherte Klaus Voigt bereits vor seiner 2002 und im gleichen Jahr auch auf Italienisch erschienenen Monographie „Villa Emma. Jüdische Kinder auf der Flucht 1940-1945“ die Ehrenbürgerschaft der Stadt. Ebenfalls 2002 wurde in der mittlerweile als Gedenkstätte etablierten Villa Emma die auf Voigts Arbeit basierende Dauerausstellung „I ragazzi ebrei di Villa Emma a Nonantola“ eröffnet.

Klaus Voigt blieb seinen Herzensthemen verpflichtet. Erst auf Italienisch (2004) und dann auf Deutsch (2006) publizierte er „Joškos Kinder. Flucht und Alija durch Europa, 1940-1943. Josef Indigs Bericht“. Es folgte 2009 der mit Christina Köstner herausgegebene Sammelband „Österreichisches Exil in Italien: 1938-1945“.

Im Jahr 2014 gab Klaus Voigt „Sonjas Tagebuch. Flucht und Alija in den Aufzeichnungen von Sonja Borus aus Berlin, 1941-1946“ heraus. Von besonderer Bedeutung und Genugtuung war für ihn die persönliche Anwesenheit von Shoshana Harari (Sonja Borus), die zur Buchpäsentation 2015 in Berlin zusammen mit ihren vier Kindern aus Israel anreiste. Vier Jahre später fand die feierliche Präsentation der italienischen Ausgabe von Sonjas Tagebuch, „Diario di Sonja: fuga e aliyah di un’adolescente berlinese (1941-1946)“ in Nonantola und unter erneuter Präsenz von Shoshana Harari und Klaus Voigt statt.

Das letzte große und 2021 noch fertiggestellte Forschungsprojekt von Klaus Voigt war die Biographie zum deutschen Maler und Expressionisten Rudolf Levy, der die letzten Jahre seines Exils in Italien verbracht hatte und 1944 aus Florenz von den deutschen Besatzern nach Auschwitz deportiert worden war. Die Publikation steht aus und wird Klaus Voigt postum ebenso ehren, wie die in Florenz in den Uffizien für den 27. Januar 2022 ausstehende Eröffnung der Ausstellung zu Levy und seinen Werken, deren historischen Teil Voigt vorbereitet hat. Die Aufnahme von vier Gemälden Levys in die  Documenta ist Klaus Voigts zu verdanken.

Eine aktuelle Ausstellung des Deutschen Historischen Museums (DHM) in Berlin thematisiert in diesem Kontext die Geschichte der Documenta in den ersten Jahrzehnten der von Kontinuitäten gezeichneten Bundesrepublik Deutschland, in denen eben (auch) jüdische KünstlernInnen ganz gezielt nicht gezeigt wurden.  

Klaus Voigt hielt mehrere Gastdozenturen, die ihn an die Universitäten in Bologna, Trient, Paris und an das Europäische Hochschulinstitut in Florenz führten. Trotzdem war Voigt keine dauerhaft institutionelle Anbindung vergönnt. Als freiberuflicher Historiker in Berlin blieb er seinem bewundernswerten Stil treu und forschte zu Themen, die ihn berührten und nicht mehr losließen. Diese Stringenz brachte ihm nicht nur bei Exil- und ItalienforschernInnen Anerkennung, sondern insbesondere bei den Menschen, deren Geschichte er auf Wissenschaftsebene sichtbar machte und damit zur gesellschaftlichen Debatte stellte.

Nicht nur die heute noch lebenden „Kinder der Villa Emma“ haben dem im September 2021 wenige Wochen vor seinem 83. Geburtstag plötzlich verstorbenen Klaus Voigt gedacht. Auch Familie, FreundeInnen und KollegenInnen erinnern an einen Historiker und Freund, der mit seiner Forschung Brücken zwischen Deutschland, Italien und Israel geschlagen hat, die weit über das Wissenschaftliche hinaus in der Lage war, die dahinterstehenden Menschen einzubeziehen.

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